Infinite Games

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Im letzten halben Jahr bin ich auf Infinite Games und ein paar weitere Bücher gestoßen, die schon jedes als einzelnes sehr interessant sind, die für mich aber zusammengenommen einige neue Einsichten zur Agilität als Ganzes beschert haben. Ich nutze die Konzepte aktiv in meinen Management-Seminaren.

Die möchte ich teilen und dies ist der dritte Blog in dieser Reihe. Der erste über Humanocracy findet sich hier der zweite über „Good to Great“ ist hier.

 

Es gibt mindestens zwei Arten von Spielen. Das eine könnte man als endlich, das andere als unendlich bezeichnen. Ein endliches Spiel wird mit dem Ziel gespielt, zu gewinnen, ein unendliches Spiel mit dem Ziel, weiterzuspielen.

— Carse, James. Finite and Infinite Games (S.3). Free Press 1986. Kindle-Version.

Simon Sinek startet in seinem Buch „Infinite Games“ eine ungewöhnliche Reise mit einem zunächst sehr theoretisch anmutenden Bild aus der Spieltheorie. Ich hatte beim Lesen zunächst das Bedürfnis zu nicken: ja, genau, habe ich mir auch schon gedacht. Aber dann kommt er an einen Punkt, an dem ich mit dem Ergebnis zufrieden war und kommt zu weiteren, sehr tiefgreifenden Erkenntnissen. So kommt er aus der Spieltheorie zu einer Beschreibung der aktuellen Business-Landschaft (aus seiner Sicht natürlich zunächst die der USA) und dann zu Ergebnissen, die sich direkt auf Konzepte von Management und Leadership auswirken.

Gewinner und Verlierer

Wir haben uns angewöhnt, die Welt in Form von Gewinnern und Verlierern zu sehen. Diese Strategie, für die wir die Metapher “endliche Spiele“ verwenden, hat für die Arbeitsweise eines Unternehmen in der Regel langfristig schwerwiegende Folgen.

  • Endliche Spiele werden von bekannten Spielern gespielt. Sie haben feste Regeln. Und es gibt ein vereinbartes Ziel, das, wenn es erreicht wird, das Spiel beendet. Viele dieser Spiele sind „Null-Summen-Spiele“.
  • Unendliche Spiele haben unendliche Zeithorizonte. Und weil es keine Ziellinie gibt, kein praktisches Ende des Spiels, gibt es so etwas wie „Gewinnen“ bei einem unendlichen Spiel nicht. In einem unendlichen Spiel besteht das primäre Ziel darin, weiterzuspielen, das Spiel fortzusetzen.

Wenn wir mit einer endlichen Denkweise an einem unendlichen Spiel teilnehmen, entgeht uns ein wesentlicher Aspekt des Spiels. Wir nutzen beliebige, oft irrelevante Metriken (wie „der Beste“, „Nummer 1 im Umsatz“), die nicht wesentlich für das langfristige Überleben sind.

Was aber noch schwerwiegender ist, diese Herangehensweise beeinflusst unsere Art zu kooperieren, das Bild, das wir von Mitstreitern haben und lösen damit ungewollte Konsequenzen aus, wie Verlust von Vertrauen, Kooperation und Innovation.

Für Unternehmen (wenn man von Startups absieht, die noch nicht wirklich Unternehmen sind, sondern eher Experimente, die zum Erstellen eines Unternehmens führen können), ist ihre geschäftliche Umgebung die buchstäbliche Definition eines unendlichen Spiels.

Simon Sinek führt diese Unterscheidung plastisch an einem Beispiel von zwei Produktpräsentationen (in diesem Fall Zune und iPod) von Microsoft und Apple ein;

  • Auf der Microsoft-Veranstaltung widmete die Mehrheit der Vortragenden einen guten Teil ihrer Präsentationen dem Thema, wie sie Apple schlagen würden.
  • Auf der Apple-Veranstaltung verbrachten 100 Prozent der Vortragenden 100 Prozent ihrer Zeit damit, darüber zu sprechen, wie Apple versucht, Lehrern beim Lehren und Schülern beim Lernen zu helfen.

Microsoft hatte eine Metrik gewählt („Apple bei Musikspielern schlagen“), die ihnen allerdings keine Hilfe anbot, wie es beim nächsten Produkt weitergeht. Und genauso wie gilt: „nach dem Spiel ist vor dem Spiel“ gilt auch: nach jedem Produkt kommt das nächste. Nur eine konsistente Perspektive gibt die durchgehende langfristige Orientierung.

Apple hatte diesen Nordstern, diese durchgehende Orientierung: die beste Nutzererfahrung für seine Kunden zu schaffen. Und das gab ihnen Vorteil, gab ihnen die Resilienz, unter wechselnden Anforderungen richtig zu agieren.

Sinek geht aber tiefer: er arbeitet konkrete Praktiken heraus, die ein Leader einbeziehen muss, wenn er ein Unternehmen entwickeln will, das unter diesen Bedingungen erfolgreich ist:

  • Eine gerechte Sache vorantreiben
  • Vertrauensvolle Teams aufbauen
  • Würdige Konkurrenten studieren
  • Sich auf existenzielle Flexibilität vorbereiten
  • Den Mut zur Führung demonstrieren

Die gerechte Sache

Eine gerechte Sache ist eine weitere entwickelte Idee der „Start with Why“. Aber: sie ist nicht dasselbe wie das WARUM. Ein WARUM kommt aus der Vergangenheit. Es ist eine Ursprungsgeschichte. Es ist eine Aussage darüber, wer wir sind – die Summe unserer Werte und Überzeugungen. Bei einer gerechten Sache geht es um die Zukunft.

Eine gerechte Sache muss sein:

  • für etwas – affirmativ und optimistisch –
  • inklusiv – offen für alle, die einen Beitrag leisten möchten –
  • dienstleistungsorientiert – zum primären Nutzen anderer – dadurch baut sie eine loyale Basis von Mitarbeitern und Kunden (und Investoren) auf, die dem Unternehmen durch dick und dünn treu bleiben werden.
  • resilient – kann politischen, technologischen und kulturellen Veränderungen standhalten –
  • idealistisch – groß, kühn und letztlich unerreichbar – erreichbar ist eine Vision, die ebenfalls eine wichtige Rolle spielt.

Was sich nicht als gute Sache qualifiziert, ist

  • Moon shots, d.h. schwer erreichbar Ziele
  • „der beste sein“, also sich an der Konkurrenz messen
  • Wachstum an sich
  • Soziale Verantwortung, also Dinge, die die Firma neben ihrem eigentlichen Ziel auch noch verfolgt

Die Rolle der Führung

Unter diesem Gesichtspunkt, sollte man vielleicht die Rolle eines CEO in „Hüter über die gute Sache“ oder „Chief Vision Officer“ umdefinieren.

Martin Luther King Jr. Sagt in seiner legendären Rede „Ich habe einen Traum“ – er hat nicht gesagt: „Ich habe einen Plan“. Natürlich brauchte er einen Plan, aber als „CEO“ der Bürgerrechtsbewegung war er nicht dafür verantwortlich, den Plan zu machen. Er war verantwortlich für den Traum und dafür, dass diejenigen, die für die Pläne verantwortlich waren, daran arbeiteten, den Traum voranzubringen. Seine Verantwortung war es, über den Tag hinauszublicken und den Traum am Leben zu halten.

Sinek benennt drei Säulen einer Organisation – einen Zweck fördern, die Menschen schützen und einen Gewinn erwirtschaften. „Inifinite Game“ gesinnte Führungskräfte arbeiten hart daran, diese Prioritäten richtig zu setzen; über die finanziellen Zwänge des aktuellen Tages hinauszublicken und sie stellen so oft wie möglich den Menschen vor den Profit. Das fördert das Engagement der Mitarbeiter und bereitet den folgenden Punkt vor: vertrauensvolle Teams.

Vertrauensvolle Teams

Führungskräfte sind nicht für die Ergebnisse verantwortlich, Führungskräfte sind für die Menschen verantwortlich, die für die Ergebnisse verantwortlich sind. Und der beste Weg, die Leistung in einer Organisation voranzutreiben, besteht darin, ein Umfeld zu schaffen, in dem Informationen frei fließen können, Fehler aufgezeigt werden können und Hilfe angeboten und angenommen werden kann.

Kurz gesagt, eine Umgebung, in der sich die Menschen unter sich sicher fühlen.

Viele Organisationen betrachten die Fähigkeit, in einem Team vertrauensvoll zusammenzuarbeiten, als tendenziell wichtiger als reine Performance, sagen sogar, dass narzisstische Hochleister toxisch in Teams wirken können.

 Der würdige Rivale

 

Wenn alle Metriken, die sagen wer vorne und wer hinten liegt, willkürlich sind und sich über die Zeit ändern – was kann ich herannehmen, um eine Bewertung zu erhalten. Außerdem gibt es in einem unendlichen Spiel keine Ziellinie, so dass man versucht, in einem nicht zu gewinnenden Rennen anzutreten.

 

Ich kann mich allerdings an einem Konkurrenten orientieren, der seine Arbeit gut macht. Die Wahrheit ist, obwohl wir ähnliche Dinge tun, ist er nicht mein Konkurrent (im Sinn des endlichen Spiels), er ist mein Rivale (auf dem gleichen Weg wie ich). Mein sehr würdiger Rivale, wobei wir genauso viel voneinander profitieren, indem wir in der Konkurrenz neue Ideen generieren.

 

Würdige Rivalen helfen uns besser zu werden, sie helfen uns, auf dem Boden zu bleiben, also ehrlich und ehrgeizig zu bleiben.

 

Existentielle Flexibilität

 

Flexibilität bekommt auch einen anderen Unterton, wenn man sie im Licht eines unendlichen Spiels betrachtet: sie wird weiter gefasst als der Bereich der taktischen Massnahmen, die zum Erreichen des aktuellen Business-Ziels angemessen wird – Flexibilität stellt auf Dauer alle Fixpunkte in Frage, wird existentiell. Was diese Art von Flexibilität bedeutet, kann man ab Beispiel von Kodak verdeutlichen: Kodak war mit dem Zweck gegründet worden, fotografieren für jedermann so einfach und zugänglich zu machen wie möglich – ein sehr gutes Beispiel für ein infinite Mindset.

 

Im Lauf der Zeit kam eine andere Generation von endlich gesinnten Führungspersonen ans Ruder. Als die digitale Fotografie aufkam, hatte Kodak zwar die große Mehrzahl an Patenten. Sie nutzten diese aber nicht, um sich selbst neu zu erfinden. Sie beschlossen stattdessen, die neue Technologie so lange wie möglich zu unterdrücken, um das Unvermeidliche abzuwenden und bis dahin weiter Silber-basierte Filme zu verkaufen.

 

Der Effekt ist nur zu gut bekannt: Als die Patente von Kodak 2007 ausliefen, versiegte das Geld, und fünf Jahre später meldete Kodak Konkurs an.

 

Existentielle Flexibilität ist die Fähigkeit, eine extreme Störung eines Geschäftsmodells oder eines strategischen Kurses zu initiieren, um eine gerechte Sache effektiver voranzutreiben, auch wenn es das bestehende Geschäftsmodell stört.

 

Kodak ist an dieser Herausforderung gescheitert. Insofern sind Disruptionen manchmal der direkte Effekt eines endlichen Mindset.

 

Der Mut zu führen

 

Wie finden wir den Mut, unsere Denkweise zu ändern?

 

Wir können auf ein lebensveränderndes Erlebnis warten, das uns in unseren Grundfesten erschüttert und die Art und Weise, wie wir die Welt sehen, in Frage stellt.

 

Oder wir können eine gerechte Sache finden, die uns inspiriert; uns mit anderen umgeben, mit denen wir eine gemeinsame Sache teilen, Menschen, denen wir vertrauen und die uns vertrauen; einen Rivalen identifizieren, der es wert ist, verglichen zu werden, der uns anspornt, uns ständig zu verbessern; und uns daran erinnern, dass wir der Sache mehr verpflichtet sind als irgendeinem bestimmten Weg oder einer bestimmten Strategie, die wir zufällig gerade verfolgen.

 

Die Umgebung macht es uns nicht leichter: Wall-Street-Analysten (oder ihr lokales Äquivalent) neigen dazu, für die kurzfristige Gemeinschaft zu schreiben. Es braucht daher keinen Mut, eine endliche Denkweise beizubehalte

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