In der komplexen und dynamischen Landschaft, in der sich Organisationen heute bewegen, ist ein robuster und anpassungsfähiger Managementansatz, der die Herausforderungen und Unwägbarkeiten des modernen Geschäftsumfelds wirksam bewältigen kann, von entscheidender Bedeutung.
Dabei wird die Auswahl der richtigen Herangehensweise nicht einfacher. Lean ist schon ein weitgehender Standard, und Agilität wird mehr und mehr zur Commodity. Es hilft auch nicht weiter, wenn sich die Personalabteilung und die Geschäftsbereiche um die Deutungshoheit der Organisationsentwicklung zanken. Um neue Wettbewerbsvorteile zu erschliessen, muss man nach unserer Auffassung einen ganzheitlicheren Ansatz nutzen, mit dem
- alle Teile der Firma betrachtet werden, also neben der Entwicklung auch die operativen Einheiten und die unterstützenden Bereiche wie Marketing oder Personal.
- alle Dimensionen der Firma integriert zu designen, also neben Prozessen und Strukturen auch Entscheidungen und Kommunikation sowie Personen, Kompetenzen und Motivationen.
- nachvollziehbare Diagnosen über Dysfunktionalitäten der Organisation abgeleitet werden können und daraus Optionen für Verbesserungen abzuleiten.
- die Granularität der betrachteten Einheiten frei wählbar ist und die Möglichkeit besteht, graduelle Verbesserungen oder tiefgreifende Transformation für diese Einheit zu entwerfen.
Das VSM in Kürze
Ein solches Modell, das Anerkennung und Lob für seine Fähigkeit zur Verbesserung der organisatorischen Nachhaltigkeit und Lebensfähigkeit erhalten hat, ist das Viable System Model (VSM). Das von Stafford Beer entwickelte VSM bietet einen umfassenden Rahmen, der es Unternehmen ermöglicht, ihre internen Prozesse zu verstehen und zu optimieren. In diesem Artikel werden wir die Vorteile des Viable System Model (VSM) untersuchen und erläutern, warum es zu einem wertvollen Instrument für das moderne Management geworden ist.
Der Begriff „lebensfähig“ umfasst neben der Fähigkeit zu überleben auch, die eigene Richtung oder Identität zu bewahren. Durch die integrierte Betrachtung der Umgebung (oder des geschäftlichen Ökosystems) wird der Begriff „lebensfähig“ zu einem Synonym zu „nachhaltig“.
Eine erste Betrachtung wäre das folgende Diagramm:
Die Elemente darin sind
- Die Umwelt, also z.B. die Kunden, der Wettbewerb oder staatliche Regulierungen
- Das operative System als die bestimmende Sicht („das System ist, was es tut“ — Stafford Beer)
- Das Metasystem oder die lokale Organisation. Es bedeutet bevorzugt Selbstorganisation, so weit das möglich ist, umfasst aber im Prinzip jede Art von Organisation.
Es zeigt daneben die Beziehungen
- zwischen der Umwelt und dem operativen System, als zwei gerichtete Kommunikationskanäle
- zwischen dem operativen System und dem Metasystem, ebenfalls als zwei Kommunikationskanäle.
Zur klareren Darstellung der Beizehungen zieht man dieses Bild in der Regel auseinander:
Um die Betrachtung vollständig zu machen, muss man noch weitere Aspekte hinzufügen und die Kommunikationskanäle dazu planen, also
- Koordination zwischen parallelen Einheiten (2). Das umfasst so verschiedene Dinge wie Sekretariat, Verhaltensstandards
- Die stabilisierenden Aspekte (3, in VSM-Sprech: „nach innen und jetzt“) wie Controlling, Compliance, Marketing, die eine effektive und stabile Organisation sichern
- Die zukunftsorientierten Aspekte (4, in VSM-Sprech „nach aussen und Zukunft“), die der Organisation helfen, sich auf zukünftige Herausforderungen vorzubereiten
- Die Wahrung der Identität (5), die zwischen den widersprüchlichen Anforderungen der genannten Aspekten moderiert und das Gesamtsystem im Auge behält.
Der Nutzen des VSM
1. Ganzheitliches Systemdenken
Einer der Hauptvorteile des Viable System Model ist sein ganzheitlicher Ansatz zum Verständnis von Organisationen. Das Modell betont die Interdependenzen und Interaktionen zwischen den verschiedenen Komponenten eines Systems und betrachtet die Organisation als komplexes adaptives System. Indem das VSM die Organisation als Ganzes in seiner Umwelt analysiert, anstatt sich nur auf einzelne Teile zu konzentrieren, ermöglicht es Managern, eine umfassende Perspektive zu gewinnen und fundierte Entscheidungen zu treffen, die das gesamte Ökosystem der Organisation berücksichtigen.
2. Erhöhte organisatorische Resilienz
Das Kernprinzip des VSM ist das Konzept der Lebensfähigkeit, das sich auf die Fähigkeit einer Organisation bezieht, sich anzupassen und in einem sich verändernden Umfeld zu überleben. Das Modell hilft Organisationen dabei, potenzielle Schwachstellen und Ineffizienzen innerhalb ihrer Struktur zu erkennen, so dass sie ihre Widerstandsfähigkeit aufbauen und ihre Fähigkeit verbessern können, wirksam auf externe Störungen zu reagieren. Durch die Verbesserung der Anpassungsfähigkeit und Flexibilität versetzt das VSM Organisationen in die Lage, Unsicherheiten zu bewältigen und ihre Lebensfähigkeit angesichts des ständigen Wandels zu erhalten.
3. Klare Kommunikation und Koordinierung
Eines der grundlegenden Merkmale des Viable System Model ist die Betonung einer effektiven Kommunikation und Koordination innerhalb einer Organisation. Das Modell definiert verschiedene Organisationseinheiten oder Systeme, die jeweils spezifische Funktionen und Verantwortlichkeiten haben. Diese Einheiten arbeiten autonom, sind aber auch durch Rückkopplungsschleifen miteinander verbunden, um einen effektiven Informationsfluss und eine effektive Koordination zu gewährleisten. Dieser strukturierte Ansatz erleichtert eine transparente Kommunikation, reduziert Silos und ermöglicht eine rasche Entscheidungsfindung innerhalb der Organisation.
4. Verbesserte Entscheidungsfindung:
Das Viable System Model bietet einen wertvollen Rahmen für die Entscheidungsfindung auf verschiedenen Ebenen einer Organisation. Das Modell ermutigt Manager, Daten, Informationsflüsse und Rückkopplungsmechanismen zu analysieren, so dass sie auf der Grundlage des aktuellen Zustands des Systems fundierte Entscheidungen treffen können. Durch die Betrachtung des gesamten Systems und seiner Interdependenzen können Entscheidungsträger potenzielle Engpässe erkennen, zukünftige Herausforderungen vorhersehen und effektive Lösungen implementieren, die mit den strategischen Zielen der Organisation übereinstimmen.
5. Effektive Organisationsgestaltung:
Mit seinem Fokus auf die interne Struktur und die Funktionen einer Organisation hilft das Viable System Model bei der Gestaltung effizienter Organisationsstrukturen. Durch die Identifizierung von Schlüsselsystemen und -subsystemen sowie deren Rollen und Zuständigkeiten unterstützt das Modell Organisationen bei der Optimierung ihrer Prozesse und der Zuweisung von Ressourcen. Dadurch wird sichergestellt, dass die Organisation gut gerüstet ist, um Aufgaben zu bewältigen, sich an Veränderungen anzupassen und ihre Funktionen auf die Erreichung ihrer Ziele auszurichten.
6. Kontinuierliches Lernen und Anpassung:
Das Viable System Model fördert eine Kultur des kontinuierlichen Lernens und der Anpassung innerhalb einer Organisation. Durch die Betonung von Feedback-Schleifen und Informationsaustausch ermutigt das Modell Organisationen dazu, ihre Leistung zu überwachen, verbesserungswürdige Bereiche zu identifizieren und notwendige Änderungen umzusetzen. Dieser iterative Ansatz ermöglicht es Organisationen, sich weiterzuentwickeln und ihre Lebensfähigkeit im Laufe der Zeit zu verbessern, indem sie sich an neue Marktbedingungen, Kundenanforderungen und technologische Fortschritte anpassen.
7. Das VSM ist fraktal
Das VSM kann auf verschiedene Stufen angewendet werden – das bedeutet nicht dasselbe wie Hierarchie, sondern Abstraktionsstufen. Zu dieser gewählten Abstraktionsstufe (VSM-Sprech: „System im Fokus“) wird neben dem System selbst auch die Beziehungen zu den eingebetteten Systemen analysiert oder modelliert und auch die Beziehungen zur nächsthöheren Abstraktionsstufe.
Zusammen mit Wahl der Intensität der Intervention kann man damit sehr genau steuern, wie groß der „Blast Radius“ einer Maßnahme sein wird. Das bedeutet einen wichtigen Vorteil für das Risikomanagement bei einem Veränderungsprozess.
8. Kombination mit bestehenden Methoden
Das VSM fügt eine zusätzliche Sicht auf die Organisation hinzu, nämlich die Sicht auf Entscheidungs- und Kommunikationsprozesse. Es zieht aus seinen kybernetischen Wurzeln mächtige konzeptionelle Werkzeuge, die Verbesserungsmöglichkeiten nachvollziehbar machen. Diese Werkzeuge helfen dabei, blinde Flecken aufzuspüren, ohne mit dem Anspruch aufzutreten, alle bestehenden Strukturen umzuwerfen
Zusammenfassung
In einer Ära, die durch raschen Wandel und Komplexität gekennzeichnet ist, benötigen Organisationen wirksame Managementmodelle, die ihre Widerstandsfähigkeit, Anpassungsfähigkeit und effiziente Entscheidungsfindung fördern. Das Viable System Model bietet ein umfassendes Rahmenwerk, das diese Anforderungen erfüllt, indem es eine ganzheitliche Sicht auf Organisationen ermöglicht, die Koordination und Kommunikation verbessert, Entscheidungsprozesse optimiert, eine effektive Organisationsgestaltung ermöglicht und eine Kultur des kontinuierlichen Lernens fördert. Indem sie sich die Vorteile des VSM zu eigen machen, können sich Organisationen so positionieren, dass sie angesichts der Ungewissheit gedeihen und ihre langfristige Überlebensfähigkeit sichern.